Deutsch-Dienstag: melunis Ausflug in die wunderbare Welt der Sprache #36 – Rotkäppchen die Zweite

Herzlich willkommen zurück zu einem weiteren Deutsch-Dienstag. Schön, dass ihr wieder dabei seid! 📚📖


Vergangene Woche konntet ihr bereits den ersten Teil meiner Rotkäppchen-Miniserie lesen. In der vergangenen Woche führte uns mein Beitrag ins Frankreich des 17. Jahrhunderts, zu einer der ersten dokumentierten Rotkäppchen-Versionen. Heute geht die Reise nicht allzu weit weg und auch weniger weit in die Vergangenheit.

Die Version der Gebrüder Grimm - Deutschland

Zunächst erst einmal wieder etwas zum historischen Kontext der Erzählung. Ich stütze mich auf die Rotkäppchen-Version aus dem Jahre 1850, einzusehen unter folgendem Link. Das Erscheinungsdatum verrät uns, dass die grimmsche Geschichte wenige Jahre nach dem deutschen Vormärz erschien. Es waren also die ersten emanzipatorischen Frauenstimmen laut geworden, nachdem diese sich ihrer untergeordneten gesellschaftlichen Stellung bewusst geworden waren. Die Frauen wollten aus den - von Männern - vorbestimmten Rollen der am liebsten schweigsamen "Arbeitstiere" oder "Repräsentationsfiguren" ausbrechen.

Frauen galten also auch im Deutschland des 19. Jahrhunderts noch als nur für Ehe und Haushalt geeignet, ähnlich wie 150 Jahre zuvor in Frankreich.

Ihnen wurde jedoch ihre unterwürfige Stellung bewusst und sie versuchten aktiv etwas daran zu ändern, um die Rolle der unterdrückten, weniger klugen, nicht für die öffentliche Arbeit geeigneten, zurückhaltenden und schweigsamen Frau abzulegen.

Die Gebrüder Grimm hatten eine zeitgemäße Einstellung zur Rolle der Frau, doch wurden ihnen ihre Geschichten oftmals von klugen Erzählerinnen zugetragen, die ihre eigenen Vorstellungen und Gedanken in ihre Erzählungen miteinließen ließen. Die Brüder selbst versuchten die Geschichten dann so niederzuschreiben, wie sie ihnen erzählt wurden, sie für sich sprechen zu lassen und versuchten höchstens gelegentlich, die Eigenschaften der Protagonisten und Protagonistinnen zu verstärken.

Auf diese Weise haben letztlich alle Beteiligten sowie die politische Lage ihre Spuren in den Märchen der Gebrüder Grimm hinterlassen.


Die Geschichte

Der Verlauf der Erzählung der Grimms ist anfänglich weitestgehend identisch mit der Version Perraults (s. Artikel der letzten Woche). Doch endet ihre Version nicht mit dem Verschlingen und dem damit einhergehenden Tod des Mädchens, sondern führt noch weiter. Um auch die brutalität der Geschichte, welche dank sämtlicher Disney-Verfilmungen in Vergessenheit geraten ist, aufzuweisen, zitiere ich den Text an dieser Stelle Quelle :

Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fieng an überlaut zu schnarchen. Der Jäger gieng eben an dem Haus vorbei und dachte „wie die alte Frau schnarcht, du mußt doch sehen ob ihr etwas fehlt.“ Da trat er in die Stube, und wie er vor das Bette kam, so sah er daß der Wolf darin lag. „Finde ich dich hier, du alter Sünder,“ sagte er, „ich habe dich lange gesucht.“ Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein der Wolf könnte die Großmutter gefressen haben, und sie wäre noch zu retten: schoß nicht, sondern nahm eine Scheere und fieng an dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte gethan hatte, da sah er das rothe Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen heraus und rief „ach, wie war ich erschrocken, wie wars so dunkel in dem Wolf seinem Leib!“ Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum athmen. Rothkäppchen aber holte geschwind große Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib, und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Steine waren so schwer, daß er gleich niedersank und sich todt fiel.

Diese Erzählung präsentiert uns also ein junges Mädchen, dass durch die Geschehnisse reift, klüger wird und sein neues Wissen anzuwenden weiß, wie der weitere Verlauf der Erzählung zeigt, in dem sie einige Zeit später erneut einem Wolf begegnet. Ihr ergeht es somit ähnlich wie den Frauen, die durch die revolutionären Zustände im Land mehr Bildung erhalten konnten, sich zu wehren begannen und dem bösen Wolf (dem Mann?) nicht weiter wehrlos ausgeliefert waren.

Mit diesen ungemein aufrührerischen Gedanken entlasse ich euch nun in einen hoffentlich entspannten Abend, bis nächste Woche!

Eure meluni

Bildquellen: 1 und 2

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