Nagelbrett, Glaslaufen und Feuerlaufen – das sind Effekte, die man mit einem Fakir assoziiert. Das Glaslaufen sprengt unsere Vorstellungskraft, da der Effekt ohne Präparation in physikalischer Hinsicht vollkommen unmöglich scheint. Doch das Glaslaufen ist tatsächlich mit völlig unpräparierten Glasscherben möglich. Notwendig ist lediglich ein gutes Vertrauen in die Gesetze der Physik.
Beim Glaslaufen läuft der Künstler barfuß über Glasscherben.
Physikalische Erklärung
Es ist und bleibt erstaunlich: Warum nur funktioniert das Glaslaufen auch ohne präparierte Scherben?
In der Kleinkunstszene gibt es einige Künstler, die die Scherben vor der Verwendung präparieren. Dies geschieht zum Beispiel durch langes Kochen der Scherben in einem mit Wasser und feinem Quarzsand gefüllten Topf. Beim Kochen werden die scharfen Kanten aufgrund der starken Reibung aneinander und am Quarzsand abgeschliffen. Doch diese Präparation macht nicht viel Sinn, denn beim Glaslaufen brechen immer wieder Scherben unter dem Gewicht der Füße weg und neue scharfe Kanten entstehen.
Vor dem Versuch der Erklärung muss eine kleine, aber wichtige physikalische Wirkungsweise erläutert werden. Scharfe Kanten (Klingen, Scherben usw.) schneiden nicht durch alleinigen Druck. Viel wichtiger ist eine so genannte Schneidebewegung dieser Schnittkante. Den besten Erfolg beim Schneiden mit einem Messer bekommt man erst nach einer Bewegung der Messerklinge in Richtung der Messerlängsachse – und nicht durch Herunterdrücken des Messers.
Gleiches gilt auch für Glasscherben: Das Drücken einer Scherbenkante auf die Fingerkuppe oder die Fußsohle führt kaum zu Verletzungen. Erst winzige oder größere Schnittbewegungen verursachen Wunden.
Beim Glaslaufen wirken nun mehrere physikalische Phänomene zusammen:
- Erstens wird der Fuß in der Regel gerade und von oben auf den Scherbenteppich gesetzt. Eine Schnittbewegung entfällt.
- Zweitens sacken die Scherben, die einen dicken Teppich bilden, nach unten weg und brechen mitunter. Das Wegsacken der Scherben sorgt dafür, dass die durch den Künstler ausgeübte Gewichtskraft in Komponenten zerlegt wird, die nicht alle streng vertikal verlaufen.
- Drittens gilt auch beim Glaslaufen eine ähnliche Belastungsverteilung wie beim Nagelbrett-Effekt. Denn das Körpergewicht konzentriert sich ja nicht auf eine einzige Scherbenkante, sondern wird auf viele Kanten verteilt.
- Viertens besteht nicht der gesamte Scherbenteppich und vor allem die konkrete Kontaktfläche aus Scherbenkanten. Viele Scherben liegen auch flach auf dem Teppich auf, sodass sie den Füßen einen guten und ungefährlichen Halt bieten können.
Gerade das Zusammenspiel dieser einzelnen Aspekte liefert eine erste Erklärungsgrundlage. Physikgläubige Menschen hören sehr gerne einfache Erklärungen, bei denen ein Phänomen durch einen einzigen Grund erklärt werden kann. Dies ist beim Glaslaufen schwierig. Doch die genannten vier Phänomene bieten mit Sicherheit ein plausibles Erklärungsraster.