Debunk-Donnerstag - Alkohol ist gesund

Da heute Donnerstag ist und ich noch einen englischen Artikel hatte, der übersetzt werden wollte, ist dafür nun die perfekte Gelegenheit. Es geht vor allem um ein Thema: Wie gesund ist Alkoholkonsum, beziehungsweise existiert überhaupt ein gesundes Konsumniveau?


Drunken Master

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Einige von euch wissen vielleicht noch, was ich derzeit nebenberuflich mache: Ich bin Bartender. Leider, um ehrlich zu sein. Ich arbeite seit mehr als fünf Jahren in Bars - und ich bin diesbezüglich etwas ambivalent. Es ist quasi eine Hassliebe. Aber da ich immer noch studiere, zahlt es irgendwie meine Rechnungen, und bis ich etwas Besseres finde, hänge ich dran. Warum diese Ambivalenz? Ich mag Barkultur, gute Drinks, Ambiente und alles, was dazugehört. Aber die Menschen...oh, my. Viele gehen in Bars und scheinen ihr Gehirn an der Tür zurückzulassen. Man glaubt kaum, welche Geschichten ich über einige Kunden erzählen könnte. Manchmal fragte ich mich, ob man sie aus dem Krankenhaus entlassen hat, ohne auf die richtige Gehirnfunktion zu achten. Niemand kann sich wirklich so dumm und respektlos verhalten, oder? Ich empfinde auch betrunkene Menschen als unfassbar anstrengend. Sie sind laut, nervig und haben keinen Anstand. Erinnert mich an Kinder - und ihr wisst bereits, was ich von denen halte.
In diesem Zusammenhang sollte es nicht verwundern, dass ich auch mit Alkohol im Allgemeinen sehr vertraut bin. Ich habe einen angemessenen Erfahrungsschatz, wenn es um Spirituosen, Getränkekunde und die Auswirkungen von Alkohol geht - entweder durch meine eigenen Erfahrungen, Beobachtungen oder einfach nur durch viel Lesen. Tatsächlich habe ich mehrmals über alkoholbezogene Themen in diesem Blog geschrieben. Sei es wie Alkohol das Gehirn beeinflusst, wie falsch und irreführend Journalisten sein können wann immer sie über Alkoholkonsum schreiben (oder Wissenschaft im Allgemeinen) oder dass Rotwein eigentlich nicht so gut für eure Gesundheit ist, wie ihr vielleicht gedacht habt.

Schon während meiner Arbeit als Bartender machte ich mir keine Illusionen: Ich wusste, dass Alkohol schlecht für meine Gesundheit ist, aber da ich den Geschmack wirklich mag, habe ich ihn trotzdem getrunken. Vor einiger Zeit beschloss ich daher, endlich meinen Alkoholkonsum drastisch zu reduzieren. Ich habe "nur" etwa fünf Jahre lang getrunken, seit ich mit 21 Jahren damit angefangen habe - aber in den letzten Jahren trank ich definitiv viel mehr Alkohol, als jeder Gesundheitsratgeber jemals empfehlen würde. Meinen Alkoholkonsum zu reduzieren ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Schritte, um auch aus dieser ganzen "Arbeit in der Bar" herauszukommen. Ich muss zugeben, ich bin etwas stolz auf mich, diese Entscheidung treffen zu können - zumal in Anbetracht meines derzeitigen Berufes. Obwohl ich keine körperliche Abhängigkeit hatte, sind die psychologischen Nebenwirkungen eines dauerhaften Entzugs manchmal etwas schwierig zu handhaben. Und das ohne den Gruppenzwang.
Kurz nachdem ich diese Entscheidung getroffen hatte, wurde eine Studie in The Lancet veröffentlicht - einer der wichtigsten medizinischen Fachzeitschriften. Titel des Beitrags?
"Alcohol use and burden for 195 countries and territories, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016"(1).
Was für ein Zufall.
Glücklicherweise handelt es sich bei diesem Paper um Open Access, was mir die Möglichkeit gibt, dessen Auswirkungen im Detail zu diskutieren. Spoiler-Alarm: Wenn ihr gerne Alkohol trinkt, werden euch die Ergebnisse dieser Studie nicht gefallen.


Der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach

Wenn ihr meinen Artikel über die schützende Wirkung von Rotwein gelesen habt, kennt ihr bereits einige Aspekte des Alkoholkonsums, im Hinblick auf eine bessere allgemeine Gesundheit.
Dort habe ich bereits einige der aktuellen Forschungen zu diesem Thema diskutiert. Eine Meta-Analyse von Zhao et al. im Jahr 2017(2) machte relativ deutlich, was man aus kardiologischen Gründen über den Rotweinkonsum denken sollte:
Die Wissenschaftler analysierten 45 verschiedene Studien zu diesem Thema und kamen zu einigen interessanten Schlussfolgerungen. 38 dieser Studien waren durch methodische Schwächen verzerrt, insbesondere wenn es darum ging, ehemalige und/oder gelegentliche Trinker zu messen. Darüber hinaus verwendeten 16 Studien ungewöhnliche Methoden zur Messung der durchschnittlichen Menge an Alkohol pro Tag.
Diese Schwächen führten unter anderem zu dem Schluss, dass die Idee der kardioprotektiven Effekte des Alkoholkonsums immer noch nicht mehr ist als eine interessante Hypothese, der man mit Skepsis begegnen sollte.
Aber auch hier gibt es Forscher, die genau das Gegenteil behaupten. Haseeb et al. (2017)(3) argumentieren für einen moderaten Konsum (gemäß den WHO-Richtlinien), da die vorliegenden Erkenntnisse auf protektive Effekte gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen hindeuten. Man beachte jedoch, dass sie nur eine Überprüfung der verfügbaren Forschung vorgenommen haben und nicht eine eingehende Analyse der durchgeführten Studien (wie Zhao et al.) einschließlich möglicher Schwächen. Vor allem die Humanstudien waren oft methodisch schwach. Auch wenn es einige positive Auswirkungen auf den Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen gibt, hat die Einnahme von Alkohol mehrere Nebenwirkungen, die in der Tat sehr schädlich für die Gesundheit sind.
Es lohnt sich wahrscheinlich nicht, vor Herzerkrankungen geschützt zu sein, wenn man an Leberversagen oder Krebs stirbt, der durch langfristigen Alkoholkonsum verursacht wurde.
Alkohol ist höchstwahrscheinlich nicht gesund und kann zu schweren Folgen für die eigene Gesundheit führen.

Ein neuer Spieler auf dem Feld

Und hier setzt die bereits erwähnte neue Studie an.
Es ist wahrscheinlich die bisher umfangreichste und detaillierteste Analyse der Auswirkungen des langfristigen Alkoholkonsums.
Die Forscher analysierten die Daten zwischen 1990 und 2016, unter Einbeziehung von 694 Datenquellen - das entsprach einer kombinierten Studienpopulation von über 28 Millionen Menschen. Also hatten sie eine Menge Informationen, mit denen sie arbeiten konnten. Siehe deren Methoden für weitere Details.

Was haben sie genau getan?
Sie lieferten eine Meta-Analyse der relativen Risiken im Zusammenhang mit Alkoholkonsum.

Der Begriff relatives Risiko (RR)(5) wird in der Statistik verwendet, um zu beschreiben, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Gruppe, die eine Behandlung (entweder positiv oder negativ) erhält, Symptome zeigt, die durch diese Behandlung verursacht werden. Dies wird durch einen Vergleich mit einer anderen Gruppe gemessen, die die Behandlung nicht erhält. Nehmen wir zum Beispiel Raucher. Ihr Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, könnte bei 20% liegen, während Nichtraucher nur ein Risiko von 1% haben (diese Zahlen sind nur Beispiele). Jetzt kannst man es in eine solche Gleichung stellen:
Screenshot_2018-08-28 Relatives Risiko - Wikipedia.png
Wenn RR >1, treten die Symptome eher in der Gruppe auf, die die Behandlung erhielt - der Rest sollte selbsterklärend sein.



Sie veranschlagten ein Risiko im Verhältnis zu der verbrauchten Menge zwischen 0 und 12,5 Standardgetränken pro Tag (entspricht 10 g reinem Ethylalkohol). Um euch eine gewisse Perspektive zu geben: Die CDC empfiehlt derzeit(4) bis zu einem Drink für Frauen und zwei für Männer täglich. Wie ihr vielleicht schon vermutet habt - in einigen Regionen der Welt liegen die Menschen weit darüber.

gr2.jpg

In diesem Sinne dürften auch die nachfolgenden Punkte nicht überraschen. Demnach sind 2016 etwa 2,8 Millionen Todesfälle auf Alkoholkonsum zurückzuführen - das sind 2,2% aller weiblichen und 6,8% der männlichen Todesfälle (standardisiert). Das bedeutet auch, dass Alkohol den siebten Platz unter den führenden Risikofaktoren erreichen konnte, die für einen frühen Tod oder eine Behinderung verantwortlich sind.
Die Autoren der Studie machten die Wichtigkeit dieses Themas mit schicken Diagrammen noch einmal deutlich:

gr4.jpg

Was bedeutet das für eure Gesundheit?
Nun, nur wenn man das relative Risiko von Diabetes oder ischämischer Herzerkrankung reduzieren will, könnte es eine gute Idee sein, 0,83 Standardgetränke zu konsumieren, wenn man ein Mann ist - oder 0,92 als Frau (es zählt wahrscheinlich nicht, wenn man sich nur als eines von beiden identifiziert.....). Was alle anderen betrifft: Die Gesamtmenge des Alkoholkonsums zur Minimierung der Risiken für eure Gesundheit ist nichts anderes als Null.
NULL.
Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen kann man seine Trinkgewohnheiten nicht mehr mit "etwas für seine Gesundheit tun" rechtfertigen. Und selbst wenn man sich vor Diabetes und ischämischen Herzerkrankungen durch Alkoholkonsum schützen will - ich und die Autoren der Studie würden dringend davon abraten. Die Risiken der mit Alkohol verbundenen Krebserkrankungen nehmen mit dem Konsum immer mehr zu. Die möglichen positiven Effekte haben also keine Chance gegen die negativen.
Meh.

Soll man jetzt ein Leben in permanenter Nüchternheit führen? Sicherlich nicht. Ich hatte persönliche Gründe, das Trinken zu reduzieren, aber ich bin wahrscheinlich die letzte Person, die erwarten würde, dass ihr das Gleiche tut.
Ich bin nicht hier, um euch zu sagen, was ihr tun sollt. Ihr seid wahrscheinlich alt (und hoffentlich klug) genug, um eure eigenen Entscheidungen zu treffen. Ich bin hier, damit ihr informierte Entscheidungen treffen könnt. Wenn man sich der Risiken des Alkoholkonsums bewusst ist und sich trotzdem entscheidet zu trinken - sicher, dann macht es. Ich werde nicht darüber urteilen. Es ist euer Leben und ihr seid die Einzigen, die dafür verantwortlich sein sollten.

Kontext und Interpretation

Als ich zum ersten Mal über die Arbeit las (nicht über die Studie selbst), habe ich mir auch einige der Kommentare unter dem Artikel angesehen. Oh, boy. Was für ein Fehler. Ich hätte das nicht tun sollen.
Dort waren sie. Die wissenschaftlichen Analphabeten. Viele von ihnen sagten Dinge wie "Na ja. Das Leben endet sowieso tödlich, also können wir einfach Spaß haben." oder "Wow, heute sagt diese Studie das und morgen sagt eine andere Studie etwas ganz anderes - ich werde keinem Wissenschaftler zuhören und lieber auf mein Bauchgefühl setzen."
Und so weiter.
Glücklicherweise habe ich mich meinem Drang widersetzt und keine Diskussion darüber begonnen, wie wissenschaftliche Forschung betrieben wird und warum Korrelation nicht gleich Kausalität ist. Wäre wahrscheinlich Zeitverschwendung gewesen.

Was die Menschen immer wieder nicht verstehen, ist, wie man diese Art von Daten interpretiert. Selbst wenn man sechs Drinks pro Tag hat, muss man nicht an einer Krankheit leiden oder einen frühen Tod sterben. Aber das Risiko, genau das zu erfahren, wird zunehmen - es liegt nur an euch, ob ihr bereit seid, dieses Risiko einzugehen oder nicht.
Vielleicht gehört ihr zu den Glücklichen, die so viel trinken können, wie sie wollen, ohne jemals an schweren Neben- oder Langzeitwirkungen zu leiden. Ich weiß es nicht. Ihr wisst es nicht. Niemand weiß es genau. Es ist reines Glücksspiel. Ein einfacher Münzwurf.
Jedes Mal, wenn ihr Alkohol konsumiert, hofft ihr, dass die Münze zu euren Gunsten fallen wird.


Quellen

(1) The Lancet – Alcohol use and burden | (2) Jinhui Zhao. Tim Stockwell. Audra Roemer. Timothy Naimi. Tanya Chikritzhs. Alcohol Consumption and Mortality From Coronary Heart Disease:An Updated Meta-Analysis of Cohort Studies | (3) Sohaib Haseeb, Bryce Alexander, Adrian Baranchuk. Wine and Cardiovascular Health A Comprehensive Review. | (4) CDC Alcohol FAQ | (5) Relative Risk


Fühlt euch jederzeit frei, meine Ideen zu diskutieren und eure Gedanken über die Dinge, die ich thematisiere, zu teilen. Niemand ist allwissend und wenn wir alle ein bisschen klüger als zuvor daraus hervorgehen, werden wir eine Menge erreicht haben.
Danke fürs Lesen und bleibt skeptisch.

@egotheist


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Falls ihr euch für Wissenschaft begeistern könnt, dann schaut unbedingt unter #steemstem bzw. #de-stem vorbei.


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