Nicht noch ein Bewerbungsratgeber!

Vorwort

Werte Leserinnen und Leser, in den kommenden Wochen möchte ich hier auf Steemit über etwas schreiben, womit ich mich beruflich seit einigen Jahren beschäftige: dem Thema der erfolgreichen Jobsuche. Ich leite das Career Center der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und helfe dort denjenigen Studierenden, die es auf dem Arbeitsmarkt ein wenig schwieriger haben, beim Berufseinstieg.

Da selbst diese klugen Menschen, die in den letzten Jahren darauf trainiert wurden, Dinge zu hinterfragen und die Funktion komplexer Systeme zu verstehen, wenn es um den eigenen Bewerbungsprozess geht, in sehr konventionellen Mustern denken, die aber schlicht mit der Realität nicht übereinstimmen, glaube ich, dass auch ein breiteres Publikum einen Nutzen daraus ziehen könnte, wenn ich den Vorhang etwas lüfte, der die Geheimnisse der Funktionsweise jenes Systems verbirgt, das wir Arbeitsmarkt nennen. Ich werde mich bemühen, demnächst mehrheitlich kürzere Sätze zu 'Papier' zu bringen.

Da die schriftliche Bewerbung für Arbeitssuchende nach wie vor Mittel der ersten Wahl ist, Kontakt zu Arbeitgebern aufzubauen, die Qualität dieser Bewerbungen aber zu 95 % wirklich unterirdisch ist, werden wir uns zuerst gemeinsam jenem Komplex zuwenden.

Der größte Onlinebuchhändler in Deutschland listet 7.630 Bücher zum Stichwort „Bewerbung“. Die meisten Bewerbungsratgeber enthalten ein Sammelsurium an Tipps passend für das gehobene Mittelmaß des Bewerbens. Viele „Tipps“ darin sind schlicht nicht zielführend oder gar kontraproduktiv. Meine kurzen Artikel sollen einen Kontrapunkt setzen. Sie sollen zuspitzen, konkret werden und dennoch Prinzipien erkennen lassen und sie sollen nicht nur behaupten, sondern begründen. Meine Hinweise sollen im Gedächtnis bleiben und dafür auf die Methode des Entertainments zurückgreifen. Seien Sie also nicht verwundert, wenn die eine oder andere Analogie etwas überspitzt. Diese kurze Zusammenfassung kann eine wirkliche Strategieentwicklung, einen Marketingplan des Bewerbens und damit ein persönliches Beratungsgespräch nicht vollständig ersetzen aber sehr gut ergänzen oder vorbereiten.

Beginnen wir also mit

Buch I - Nicht noch ein Bewerbungsratgeber!

Gestaltung/äußere Form und Grundsätzliches - Teil I

Jede Frage, die sich Personalentscheider beim Lesen Ihrer Unterlagen stellen, lässt sich auf drei Punkte reduzieren: Kompetenz, Leistungsmotivation, Persönlichkeit.

Die meisten Bewerber konzentrieren sich nur auf den ersten Punkt. Die anderen beiden sind aber entscheidend, sobald die Grundlage der Kompetenz als passend beurteilt wird. Die Form und manche als irrelevant empfundenen Angaben sagen sehr viel über Leistungsmotivation und Persönlichkeit aus. Für Entscheider sind diese Punkte deshalb so wichtig, weil sie alltagsprägend sind. Wie oft muss man einen Mitarbeiter entlassen, weil er nicht kann, was er tun soll? Mit ein wenig Weiterbildung ist das Problem meist recht einfach zu beheben. Wie viel Produktivität verlieren Unternehmen aber, weil Mitarbeiter nicht (mehr) tun wollen, wofür sie einst eingestellt wurden? Laut den jährlichen Gallup-Studien machen ca. 7 von 10 Mitarbeitern höchstens Dienst nach Vorschrift. Leistungsmotivation ist also ein nicht zu unterschätzender Klärungsbedarf des Personalentscheiders beim Lesen Ihrer Bewerbung. Fachrichtung hin oder her; Personen, die für Tätigkeiten eingeteilt werden, die absolut nicht ihrer Persönlichkeit entsprechen, werden auf Dauer nicht glücklich mit ihrer Arbeit werden. Schüchterne Vertriebler, ungenaue Qualitätskontrolleure, nachgiebige Justizvollzugsbeamte, detailverliebte Krisenmanager und durchsetzungsstarke Ergotherapeuten (natürliche Autorität ist auch hier nicht verkehrt, bei Durchsetzung geht es aber im Kern des Begriffes immer um das Element ‚gegen jemanden‘) stellen selten gelungene Stellenbesetzungen dar – vollkommen unabhängig von der vielleicht durchaus vorliegenden fachlichen Kompetenz. Darüber hinaus spielt die Persönlichkeit auch bei der Zusammenstellung von Teams oder gar hinsichtlich der Passung zur Unternehmenskultur eine Rolle. Gepiercte Unternehmensberater kennt man von Steria Mummert (heute: Sopra Steria Consulting), die lange Zeit ein Image als 'Andersdenker' pflegten, nicht aber von McKinsey, die vor allem elitär zu wirken versuchen, auch wenn das die Fehlleistungen bei der Umgestaltung der Agentur für Arbeit nicht schmälern konnte. Elitär-sein ist eben auch nicht alles.

Keine Rechtschreibfehler, keine Eselsohren

Lesen Sie bitte einen anderen Bewerbungsratgeber, um weitere Selbstverständlichkeiten zu erfahren. Aber auch diese Kleinigkeiten lassen sich am Ende unter „will unbedingt diesen Job/verschickt willkürlich zusammengeschusterte Bewerbungen“ subsummieren.

Je mehr Aufwand Sie investieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie genau diesen Job wirklich wollen. Z.B.:

  • Postalische Bewerbungen bekommen mehr Aufmerksamkeit (Sekunden der Beschäftigung mit dem Dokument) als E-Mails
  • Ästhetisches, funktionales Design (keine wiedererkennbare, verbreitete Vorlage)
  • Argumente genau auf Aufgaben der Stelle angepasst
  • Handschriftliche Unterschrift (eingescannt, wenn E-Mail): in Bewerbungsratgebern habe ich den Tipp mit der ‚königsblauen Tinte‘ gelesen – reale Personaler haben mich allerdings noch nie darauf hingewiesen (vielleicht nicht meine Liga)
  • Hochwertiges (dickeres) Papier
  • Hochwertiges Foto aufkleben, statt drucken
  • Umschlag mit verstärktem Rücken
  • Bei E-Mail: Anlagenverzeichnis mit Links auf die entsprechenden Anlagen

Copy-and-Paste-Bewerber versuchen den Aufwand pro Bewerbung so gering wie möglich zu halten. Sie bewerben sich bei so vielen (verschiedenen) Stellen wie möglich. Gute Personalentscheider suchen aber Mitarbeiter, die besonders motiviert sind die speziellen Aufgaben der zu besetzenden Stelle zu übernehmen. Tun Sie also immer so, als wäre die Stelle, auf die Sie sich jetzt bewerben, Ihre absolute Traumstelle. Bestenfalls entspricht dies der Wahrheit, andernfalls leben Sie halt in der Realität, in der die meisten Menschen leben, in welcher man eine Stelle braucht, um Geld zu verdienen. Wenn Sie ein angeblich typischer Vertreter der Generation Y sind: diese Realität ist kein Weltuntergang, Sie bekommen ja Geld dafür.

Initiativbewerbungen per E-Mail bekommen häufig Absagen, ohne dass der Anhang überhaupt geöffnet wurde. Diese würde ich grundsätzlich per Post schicken. Auch in jenen Unternehmen, die auf Ihrer Website eine Datenbank für Initiativbewerbungen eingerichtet haben, in denen Sie aber nie jemand suchen wird, außer Sie sind ein hochspezialisierter Softwareentwickler o.Ä., sind noch Menschen an Schreibtischen tätig, auf denen sich Post wiederfinden kann. Mindestens für die nächsten zehn Jahre (prognostischer Stand: 2017) werden Sie noch von Menschen eingestellt (später vielleicht von einer Blockchain o.Ä.). Bis dahin gilt: E-Mails arbeitet man so schnell wie möglich ab (Tut mir leid, leider keine Stelle frei.), weil sie sich über den Tag hinweg gefühlt exponentiell vermehren, Briefe mit Initiativbewerbungen hebt man sich für die Zeit nach der Mittagspause auf, wenn man Sie intensiv studiert, während man gemütlich seinen Kaffee schlürft, dennoch so aussieht, als ob man arbeitet und sich dabei erfolgreich vor den E-Mails drückt.

Wenn man dann nicht folgendes denkt, hat der Bewerber gute Chancen auf entspannte 10 Minuten Aufmerksamkeit: „Ah, da isse wieder - Vorlage 36. Komm gib mir die Google-Antwort auf die Frage ‚Wie beginnt man ein Bewerbungsanschreiben?‘“ – ‚Sehr geehrter Herr XY, mit großem Interesse ….‘. Bitte benutzen Sie als Verpackung Mappen, deren Bedienung kein handwerkliches Geschick erfordern. Zwei Flügel, zwischen die alle Ihre Dokumente passen und ein einfach zu bedienender Klemmmechanismus sind optimal.

Was da so alles reinkommt, erfahren Sie im nächsten Teil: https://steemit.com/bewerbung/@tinoschloegl/nicht-noch-ein-bewerbungsratgeber-teil-2

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